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Während die meisten Zentralbanken auf Nummer sicher gingen und sich mit der Einleitung der geldpolitischen Lockerung angesichts nachlassender Inflation und schwächelnden Wachstums zurückhielten, wagte die EZB als erste den Sprung.
Vor dem Hintergrund der nunmehr deutlich höheren Abwärtsrisiken für das Wachstum in Europa aufgrund der politischen und fiskalischen Ungewissheit in Frankreich und der Wachstumsschwäche des deutschen Fertigungssektors hält sich die EZB mit ihren bewusst vagen Äußerungen über den weiteren Weg der Lockerung Optionen für künftige Zinssenkungen offen. Unsere vierteljährliche Umfrage bei den Handelsabteilungen von Investmentbanken zu einer Reihe von aktuellen Themen unterstützt unser Szenario für die Marktaktivitäten und den Ausblick. Darüber hinaus erläutern wir Entwicklungen im Hinblick auf eine Marktreform, insbesondere in Bezug auf Referenzzinssätze und ihre möglichen Auswirkungen.
Die ungewisse Weltwirtschaftslage und das politische Umfeld aufgrund der Wahlen in den USA, Großbritannien und Europa beherrschten die Märkte im zweiten Quartal 2024. In der Geldpolitik machte die EZB mit ihrer Zinssenkung um 0,25% auf ihrer Juni-Sitzung den ersten Schritt. Sie äußerte sich jedoch nicht dazu, wann mit weiteren Senkungen zu rechnen ist.
Das Hauptaugenmerk lag indes auf Frankreich. Zuerst wurde Ende Mai das Bonitätsrating des Landes herabgestuft. Darauf folgten Anfang Juni erhebliche Zugewinne der extremen Rechten Frankreichs bei den Wahlen zum Europaparlament zulasten der Partei von Präsident Macron. Als Reaktion hierauf wurde eine vorgezogene Neuwahl kurz nach Quartalsende ausgerufen. Der Markt zeigte sich ein wenig besorgt über diese unerwartete Entscheidung: 10-jährige französische Staatsanleihen verbilligten sich um bis zu 0,3–0,4% gegenüber deutschen Bundesanleihen. Dies war jedoch nicht von Dauer, und von Panik am Markt konnte keine Rede sein. Die Marktteilnehmer entschieden sich vor dem Hintergrund der französischen Wahl und der damit einhergehenden Volatilität lediglich dafür, keine großen Positionen aufzunehmen. Nun kann angesichts der mangelnden klaren Mehrheit im Parlament keine Partei mehr fiskalpolitisches Unheil anrichten. Doch die Pattsituation bedeutet auch, dass keine bedeutenden politischen Veränderungen umgesetzt werden können. Währenddessen hat sich die Liquidität bei europäischen Staatsanleihen aufgrund der Volatilität in Frankreich verschlechtert, und die Anleger lassen bezüglich einer eventuellen Übergewichtung des Landes Vorsicht walten. Dies gilt insbesondere für französische inflationsindexierte Anleihen: Die Entscheidung Deutschlands, die Emission inflationsindexierter Anleihen einzustellen, hätte normalerweise zu einer Erhöhung des Engagements in Frankreich geführt. Doch auch mögliche Ansteckungseffekte bei den Bewertungen französischer Staatsanleihen, supranationaler und Agency-Anleihen behalten die Anleger im Hinterkopf.
Die EZB hat betont, dass der weitere Verlauf von den Daten abhängig ist. Damit ist die Richtung und Geschwindigkeit der Zinsentwicklung nach der Senkung im Juni mit mehr Unsicherheit verbunden. Hinzu kommt eine mögliche Divergenz gegenüber anderen westlichen Volkswirtschaften (vor allem der USA), wenn diese sich mit dem Beginn der geldpolitischen Lockerung zurückhalten. Der „Dot Plot“ der Fed deutet auf nur eine Zinssenkung in diesem Jahr hin, aber der Markt preist ein bis zwei weitere Senkungen in Europa ein. Diese abweichenden Prognosen spiegeln jedoch gegensätzliche makroökonomische Bedingungen wider, was auf eine als ausgeprägter wahrgenommene Schwäche der EU-Wirtschaft gegenüber dem anhaltend überdurchschnittlichen Wachstum in den USA zurückzuführen ist.
Auf der Juli-Sitzung wurde die abwartende Haltung in Bezug auf die Leitzinsen bestätigt und es gab keine neuen Hinweise auf den künftigen Kurs. Allerdings ähnelten die Formulierungen der EZB-Präsidentin bei der Pressekonferenz jenen, mit denen der Markt auf die Zinssenkung im Juni vorbereitet werden sollte. Wenn die Daten weiterhin einen disinflationären Trend bei den mittelfristigen Inflationsaussichten unterstützen und der Wachstumsausblick schwach bleibt, ist der Weg für eine Zinssenkung um 0,25% im September und möglicherweise für eine weitere vor Ende 2024 geebnet.
Aktuelle Marktinformationen
Abgesehen davon, dass Europa als erstes einen Zinssenkungsschritt unternommen hat, nimmt es auch im Hinblick auf seinen primären Referenzzinssatz eine Außenseiterrolle ein, da es weiterhin den Euribor verwendet. Die meisten anderen Industrieländer haben hingegen von Interbank Offered Rates (IBORs) auf Risk-Free Rates (RFRs) umgestellt. Die Robustheit des Euribor als bevorzugter Referenzzinssatz wurde infrage gestellt, da er während des Zinsanhebungszyklus der EZB nicht so schnell reagierte wie die Euro Short Term Rate (ESTR bzw. €STR). Dies führte dazu, dass die ESTR-Euribor-Basis in den negativen Bereich geriet (d. h. negatives Kreditrisiko in Verbindung mit Banken).
Folglich laufen Beratungen über eine Euribor-Reform, um die weitere Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit des Index als Maß für die Finanzierungskosten von Banken sicherzustellen, sowie über eine mögliche Änderung an der Diskontkurve der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA), die derzeit auf den Euribor Bezug nimmt, da er nach der DLT-Methode als „tief, liquide und transparent“ gilt (Deep, Liquid and Transparent). Hierbei gilt es, neben der bereits erfüllten Bedingung der „Nähe“ auch das Kriterium der „Liquidität“ zu erfüllen. Die ESTR-Volumen steigen, und wenn sie in allen Laufzeiten der Kurve 50% des gesamten gehandelten Volumens erreichen, wird die Liquiditätsbedingung für die Umstellung der Diskontkurve der EIOPA von Euribor auf ESTR erfüllt sein. Sollte es zu dieser Umstellung kommen, könnte dies eine erhebliche Verlagerung von LDI-Absicherungen auslösen (vom Erhalt zum Festzins und der Zahlung des 6-Monats-Euribor hin zum Erhalt zum Festzins und der Zahlung des ESTR). Hierdurch würde die ESTR-Euribor-Basis ausgeweitet, insbesondere bei längeren Laufzeiten. Mit Ausnahme des kurzen Endes (2 Jahre) dominiert der 6-Monats-Euribor die Kurve, und solange er der Standard für den Handel auf den Interdealer- und Broker-Märkten bleibt, wird die Liquiditätslücke zwischen den beiden Diskontkurven fortbestehen.
Solange keine öffentlich verfügbaren Daten für die Kluft zwischen ESTR und Euribor nach Laufzeit vorliegen, haben wir mehrere Banken befragt, um eine Vorstellung von der aktuellen Marktspaltung zu bekommen sowie davon, wie sie sich auf Sicht eines Jahres möglicherweise verändern könnte. Im Vergleich zu den von der EIOPA im Juli 2021 veröffentlichten Daten, bei denen der Anteil von Swaps-basierten Absicherungen mit Bezug zum ESTR bei Laufzeiten von unter 15 Jahren bei etwa 23% und bei längeren Laufzeiten bei etwa 10% lag, ist der Marktanteil des ESTR kontinuierlich gestiegen. Aus den Antworten der befragten Banken geht hervor, dass der Median bei ESTR-Swaps-Absicherungen mit Laufzeiten unter 15 Jahren bei etwa 44% und bei längeren Laufzeiten bei etwa 25% liegt und dass diese Werte über ein Jahr voraussichtlich auf 50% bzw. 28% weiter steigen werden.
Abbildung 1: Swaps-basierte Absicherungen mit Bezug zum ESTR als Diskontkurve*
Quelle: Columbia Threadneedle Investments. Stand: 28. Juni 2024
* In dieser Umfrage wurden die Antworten von zehn Banken berücksichtigt.
Etwa 80% der befragten Banken erwarten, dass die Liquidität im ESTR bei den Clearingstellen Eurex und LCH zunehmen wird, wobei sich diese Veränderung allmählich vollziehen wird. Im Zuge der Überarbeitung der Marktinfrastrukturverordnung 3.0 (EMIR 3.0) der Europäischen Kommission geht die aufsichtsrechtliche Tendenz in Richtung einer Abrechnung von Handelsgeschäfte über Eurex. Dies könnte zur Einführung von Vorschriften für betroffene Anleger führen, einen Mindestanteil ihrer Handelsgeschäfte über eine EU-Clearingstelle (z. B. Eurex) abzurechnen. Durch diese aufsichtsrechtliche Veränderung bedingte Mittelflüsse auf dem Markt könnten einen Keil zwischen die Volumen von ESTR-basierten Swaps treiben, die über EU- und über Nicht-EU-Clearingstellen abgerechnet werden. Somit böte sich Anlegern eine weitere Gelegenheit, Nutzen aus der Differenz zu ziehen, die sich aus Liquiditätsverlagerungen ergibt.
Marktausblick
Wir haben die Derivatehandelsabteilungen der Investmentbanken auch zu ihren Erwartungen bezüglich der künftigen Entwicklung der wichtigsten Sätze für die Absicherung von Pensionsverpflichtungen befragt.
Die Ergebnisse sind unten als Prozentsatz der Antworten derjenigen, die einen Anstieg vorhersagen, abzüglich derjenigen, die einen Rückgang erwarten, dargestellt. Je größer der Wert ist, desto mehr Befragte rechnen mit einem Anstieg. Je tiefer der Wert im negativen Bereich liegt, desto mehr Befragte rechnen mit einem Rückgang.
Abbildung 2: Veränderung der Swap-Sätze im nächsten Quartal**
Quelle: Columbia Threadneedle Investments. Stand: 28. Juni 2024
** In dieser Umfrage wurden die Antworten von 15 Banken berücksichtigt.
Im vorangegangenen Quartal gingen die befragten Banken fest von einem Rückgang aller drei Kennzahlen, insbesondere des nominalen Swap-Satzes, aus. Dies erwies sich als falsch. Es herrschte Konsens über die Ankündigung einer Zinssenkung im Juni, und obwohl sich dies bewahrheitete, reichte der Schritt nicht aus, um den Abverkauf von Anleihen (der die Renditen steigen ließ) auszugleichen. Die Swap-Renditen am langen Ende stiegen aufgrund eines anhaltend massiven Angebots, wenngleich nicht in derselben Größenordnung wie zu Jahresbeginn. Bei den zuverlässigen Mittelflüssen aus Käufen niederländischer Pensionsfonds, die üblicherweise am langen Ende vereinnahmen, waren geringere Volumen zu verzeichnen. Sie reichten daher nicht aus, um die Erhöhung der Swap-Sätze auszugleichen.
Noch stärker überzeugt sind die Befragten davon, dass alle drei Kennzahlen bis zum Ende des dritten Quartals 2024 sinken werden (eine so hohe Überzeugungsrate in Bezug auf ein Sinken der 30-jährigen Swap-Rendite war seit Jahren nicht mehr verzeichnet worden). Der Markt hat eine Zinssenkung im September mit hoher Wahrscheinlichkeit eingepreist, wobei eine anhaltende Schwäche weltweiter und heimischer Daten dieses Szenario untermauert. Vor diesem Hintergrund bleiben viele trotz der starken Überzeugung von der Notwendigkeit niedrigerer Renditen vorsichtig, da das Potenzial für eine ausgeprägte Neubewertung von Laufzeitprämien besteht. Dies ist der Ungewissheit in Frankreich (und seiner fraglichen Fähigkeit, seine Schulden effizient zu konsolidieren, wodurch eine erneute Bonitätsherabstufung droht) sowie dem bedeutendsten Risikofaktor des Jahres, nämlich den US-Wahlen, geschuldet. Im Laufe des Sommers dürften sich Emissionen in der EU verlangsamen und LDI-Käufe wahrscheinlich eine Pause einlegen. Somit besteht die Möglichkeit, dass die langfristigen Renditen gemäß den Erwartungen unserer Befragten zum Ende des dritten Quartals 2024 fallen.
Im Hinblick auf die Inflation herrscht weiterhin die Auffassung, dass die langfristige Inflation strukturell zu hoch ist, und angesichts sinkender Inflationserwartungen rechnen die Befragten weitgehend mit einem Rückgang der Inflationsrate. Da die realen Renditen und die Inflationsvolatilität in Frankreich wahrscheinlich auf hohem Niveau verharren werden, wäre es nicht überraschend, wenn Marktteilnehmer Positionen in der europäischen Inflation (Anleihen oder Swaps) schließen bzw. keine neuen aufnehmen, bis die fiskalische und politische Ungewissheit ein normales Niveau erreicht hat.